Barry M. Lituchy

Autor und Herausgeber

Während der 1990er Jahre nahmen die wissenschaftlichen Erkenntnisse und das Bewusstsein über den Holocaust rapide zu.
Merkwürdigerweise fehlten die, während des Zweiten Weltkrieges stattgefundenen Ereignisse des Holocaust in Jugoslawien in dieser Debatte.
Die Vernachlässigung dieses grausamen Kapitels der Geschichte des Holocaust wirft einige beunruhigende Fragen auf. Wie konnte sich die öffentliche und wissenschaftliche Aufmerksamkeit der Thematik des Holocaust in Jugoslawien, zu der auch staatlich organisierte Programme von Genoziden gegen Juden und Jüdinnen, Serben und Serbinnen und Roma gehörten, sowie dem Bau eines der größten Konzentrationslager des Zweiten Weltkriegs – Jasenovac – nicht zuwenden?

Dieser erstaunliche Widerspruch war insofern auffälliger, als dass dieser in genau dem Moment auftrat, als die Diskussion über Genozid, Kriegsverbrechen und Menschenrechte auf dem Balkan auf den Titelseiten von allen Medien der Welt im Gange war. Aber wie konnte überhaupt eine Diskussion über den Genozid im ehemaligen Jugoslawien ohne den dazu nötigen historischen Kontext begonnen werden?

Jasenovac und der Holocaust in Jugoslawien

1997 veranstaltete das Kingsborough Community College in Brooklyn, New York eine Konferenz über Jasenovac und den Holocaust in Jugoslawien. Die Ergebnisse dieser Konferenz liegen hier zum ersten Mal auf Deutsch in einem akkuraten und autorisierten Band, in Zusammenarbeit mit sämtlichen Autoren, vor.
Das daraus resultierende Buch bietet, in seiner ganzen Breite, eine längst überfällige Erklärung für dieses komplexe Thema bezüglich des Holocaust in Jugoslawien. Obwohl das Buch nicht vorgibt, ein endgültiger Beitrag zu dieser Thematik zu sein, ist es doch das erste und einzige Buch, welches das Thema so umfangreich untersucht, und dabei sowohl alle Opfergruppen miteinbezieht als auch allen Tätern und Kollaborateuren in allen politischen Territorien des ehemaligen Jugoslawien Aufmerksamkeit schenkt.
Dies ist für jede seriöse Diskussion über Genozid auf dem Balkan oder in der zeitgenössischen Welt unerlässlich.
Die gesammelten Darstellungen bieten eine große Auswahl an Aussagen und Erkenntnissen der Autoren, welche nicht nur jüdischen, serbischen, kroatischen oder Roma-Hintergrund, sondern auch verschiedene europäische und amerikanische Hintergründe haben.

Deshalb wird dieses Buch nicht nur von Spezialisten, sondern auch vom allgemein interessierten Leser angenommen werden. Der komplette Umfang dieses größtenteils unbekannten Kapitels des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs, welches in der deutschsprachigen Literatur so bisher nicht verfügbar war, vereint viele verschiedene und komplexe Aspekte dieser düsteren Tragödie. Außerdem gibt es Aufschluss über die jahrzehntelange Verbindung zwischen Deutschen und dem Balkan und der bedeutenden Rolle Deutschlands in Jugoslawien sowohl während des Krieges als auch in der Nachkriegszeit.
Dieses Buch behandelt auch die Frage, wie Nazi- und Ustascha-Kriegsverbrecher nach dem Krieg Schutz fanden und wie diese Tatsache wiederum das Problem der Entnazifizierung, ein Problem welches den Balkan auch heute noch verfolgt, beeinflusst hat.

Schließlich bietet das Buch auch Einsichten in Jugoslawiens Nachkriegsgeschichte und seinen letztendlichen Zerfall und zeigt einen Weg für die Zukunft auf. Denn wenn man in dieser Region jemals Frieden, Stabilität und Versöhnung erreichen will, müssen diese schrecklichen Verbrechen von den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien und von der Welt gleichermaßen aufgearbeitet werden.

Vita

Barry M. Lituchy unterrichtete während der letzten 30 Jahre Europäische, Amerikanische und Welt-Geschichte am Medgar Evers College, am Kingsborough Community College und am Brooklyn College der City University of New York. Er verfasste Beiträge über die Politik und die Geschichte des Balkans. 1995 begann er, Zeugnisse von Überlebenden des KZ Jasenovac und anderer Konzentrationslager zu sammeln. 1996 schlug er vor, eine Jasenovac-Konferenz in Kingsborough zu veranstalten. Er wirkte als Hilfskoordinator bei der Ersten Internationalen Konferenz und Ausstellung, die 1997 in Kingsborough stattfand, und war für die Videoaufnahmen der Berichte zuständig. Er ist einer der Mitbegründer des Jasenovac Research Institute, dem er derzeit als leitender Direktor vorsteht. Er ist außerdem der Co-Präsident des Holocaust Memorial Committee in Brooklyn, New York.

Von Barry M. Litchuy

Jasenovac und der Holocaust in Jugoslawien

Während der 1990er Jahre nahmen die wissenschaftlichen Erkenntnisse und das Bewusstsein über den Holocaust rapide zu. Merkwürdigerweise fehlten die, während des Zweiten Weltkrieges stattgefundenen Ereignisse des Holocaust in Jugoslawien in dieser Debatte. Die Vernachlässigung dieses grausamen Kapitels der Geschichte des Holocaust wirft einige beunruhigende Fragen auf. Wie konnte sich die öffentliche und wissenschaftliche Aufmerksamkeit der Thematik des Holocaust in Jugoslawien, zu der auch staatlich organisierte Programme von Genoziden gegen Juden und Jüdinnen, Serben und Roma gehörten, sowie dem Bau eines der größten Konzentrationslager des Zweiten Weltkriegs – Jasenovac – nicht zuwenden? Dieser erstaunliche Widerspruch war insofern auffälliger, als dass dieser in genau dem Moment auftrat, als die Diskussion über Genozid, Kriegsverbrechen und Menschenrechte auf dem Balkan auf den Titelseiten von allen Medien der Welt im Gange war. Aber wie konnte überhaupt eine Diskussion über den Genozid im ehemaligen Jugoslawien ohne den dazu nötigen historischen Kontext begonnen werden?

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